Beruf und Pflege - Arbeitsrechtliche Verbesserungen für pflegende Angehörige
Die Rechte von Arbeitnehmer/innen, die nahe Angehörige pflegen, sind im Rahmen der Pflegereform 2015 durch das "Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf" erheblich gestärkt worden. Bezüglich der Corona – Pandemie gibt es erhebliche Verbesserungen und zusätzliche Hilfen, die zunächst bis zum 30.06.2021 gültig sind.
Plötzlich pflegebedürftig – das kann schnell passieren, besonders im Rahmen der Corona–Pandemie. Aber auch nach einem Herzinfarkt, Schlaganfall oder einem Unfall bedeutet das für Angehörige, kurzfristig eine bedarfsgerechte Pflege oder pflegerische Versorgung zu organisieren. Dafür können Arbeitnehmer*innen die einen nahen Angehörigen betreuen, bis zu 10 Tage kurzfristig ohne Vorankündigung von der Arbeit fernbleiben. Ist die akute Pflegesituation aufgrund der Corona–Pandemie aufgetreten, verlängert sich der Zeitraum auf 20 Arbeitstage. Dieses Recht hat jede*r Arbeitnehmer*in unabhängig von der Größe des Betriebes. Auf das Fernbleiben von der Arbeit wegen kurzzeitiger Arbeitsverhinderung und auf Freistellung besteht ein Rechtsanspruch.
Eine sofortige Benachrichtigung des Arbeitgebers über die voraussichtliche Dauer der Arbeitsverhinderung ist erforderlich. Der Arbeitgeber kann sich eine ärztliche Bescheinigung von der Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen vorlegen lassen. Auch eine Bestätigung einer Pflegeeinrichtung reicht aus. Der nahe Angehörige muss aber nicht gleich pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes sein, sondern eine voraussichtliche Pflegebedürftigkeit reicht aus. Die Arbeitsverhinderung kann aufgeteilt werden. So können z.B. zwei Geschwister jeweils 10 Tage freinehmen. Eine Lohnfortzahlungspflicht für den Arbeitgeber besteht nicht, es sei denn, es gibt hierüber eine einzelvertragliche oder tarifliche Vereinbarung.
Pflegeunterstützungsgeld
Beschäftigte haben einen gesetzlichen Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld, wenn die Pflegebedürftigkeit nicht auf einem Unfall beruht und die Krankenkasse deshalb kein Krankengeld oder Verletztengeld zahlt. Pflegeunterstützungsgeld wird auch gewährt, wenn ein Engpass in der pflegerischen Versorgung entstanden ist, den die Angehörigen durch die Pandemie nur selbst auffangen können. Dieses gilt auch für Beschäftigte, die einen Minijob (bis 450 € monatlich) ausüben. Das Pflegeunterstützungsgeld wird in Höhe des Kinderkrankengeldes gewährt und beträgt 90% des zustehenden Nettolohnes. Der Antrag ist bei der Pflegekasse des Pflegebedürftigen unverzüglich zu stellen. Das Pflegeunterstützungsgeld wird bis zu 20 Tage zunächst bis zum 30.06.2021 gezahlt. Es wird unabhängig von der Anzahl der Mitarbeiter und Beschäftigungsdauer im Unternehmen gewährt.
Anspruch auf Betriebshilfe
Auch für landwirtschaftliche Unternehmen und besonders für Familienbetriebe gibt es im Rahmen der Corona–Pandemie Hilfen. Entsteht in landwirtschaftlichen Familienbetrieben kurzfristig eine Pflegesituation, ist häufig durch Betriebsleiter oder Betriebsleiterin eine bedarfsgerechte Pflege bzw. pflegerische Versorgung sicherzustellen, was einen erheblichen Zeitaufwand in Anspruch nimmt. Für viele Betriebe wird es somit unmöglich den Betrieb in dieser Zeit weiterzuführen. In dieser Situation kann die landwirtschaftliche Pflegekasse für 20 Arbeitstage im Kalenderjahr eine Betriebshilfe, also eine Ersatzkraft, erbringen. Dabei ist es unerheblich, ob der Pflegebedürftige nahe Angehörige bei der landwirtschaftlichen Pflegekasse oder einer anderen Pflegekasse versichert ist. Die Betriebshilfe wird dann im Regelfall von der landwirtschaftlichen Krankenkasse organisiert.
Sechsmonatige Pflegezeit
Beschäftigte haben einen Rechtsanspruch auf eine bis zu 6-monatige Freistellung von der Arbeit, wenn sie einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen. Dieser Rechtsanspruch besteht aber nur in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten. Dem Arbeitgeber sind die beabsichtigte Dauer, die Verteilung der Arbeitszeit sowie der beabsichtigte Zeitraum der Pflegezeit 10 Tage vor Beginn anzukündigen. Die Freistellung kann als komplette Auszeit oder auch Teilzeit genommen werden. Unter bestimmten Bedingungen kann es sinnvoll sein, die kurzzeitige Arbeitsverhinderung (20 Tage) zu nutzen und direkt am gleichen Tag, ebenfalls die Pflegezeit anzukündigen. Ist noch kein Pflegegrad bei der Pflegeversicherung anerkannt, sollte dieses umgehend bei der Pflegekasse des Angehörigen geschehen. Wird nachgewiesen, dass gegenüber dem Arbeitgeber eine Pflegezeit angekündigt wurde, dann muss der Medizinische Dienst der Krankenversicherung spätestens 2 Wochen nach Antragstellung bei der Pflegekasse seine Begutachtung durchführen und unverzüglich mitteilen. Die Freistellung kann als komplette Auszeit oder auch als Teilzeit genommen werden. Der Beschäftigte muss die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen durch eine Bescheinigung der Pflegekasse oder des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung gegenüber dem Arbeitgeber nachweisen.
Familienpflegezeit
Bei der Familienpflegezeit hat der Beschäftigte einen Anspruch auf eine Reduzierung der Arbeitszeit für 24 Monate. Die wöchentliche Arbeitszeit muss aber mindestens 15 Stunden betragen. Im Rahmen der Corona-Pandemie kann die Mindestarbeitszeit in der Woche für einen Monat unterschritten werden. Der Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit besteht aber nur für Beschäftigte in Unternehmen mit mehr als 25 Mitarbeitern, wobei Auszubildende nicht mitzählen. Die Pflegebedürftigkeit ist wie bei der Pflegezeit nachzuweisen. Es besteht von der Ankündigung bis zum Ende der Familienpflegezeit ein absoluter Kündigungsschutz.
Beansprucht der Beschäftigte nach der 6-monatigen Pflegezeit für dieselbe Person die Familienpflegezeit, dann musste bislang die Familienpflegezeit direkt an die Pflegezeit anschließen. Diese Regelung ist vorübergehend aufgehoben. Bedingung ist jedoch, dass die Gesamtzeit von 24 Monaten nicht überschritten wird und die Freistellung mit Ablauf des 30. Juni 2021 endet. Die Zustimmung des Arbeitgebers ist erforderlich. Für Familienpflegezeit, die spätestens am 1. Juni 2021 beginnt, ist die Ankündigungsfrist beim Arbeitgeber von 3 Monate auf 10 Tage vor Beginn der Familienpflegezeit verkürzt. Die Ankündigung der Familienpflegezeit kann auch per Fax, Brief, Email oder SMS bzw. WhatsApp erfolgen.
Beschäftigte können grundsätzlich für denselben pflegebedürftigen Angehörigen nur einmal eine Familien- und Pflegezeit in Anspruch nehmen. Durch die gesetzlichen Änderungen im Rahmen der Corona-Pandemie ist es vorübergehend möglich, wenn die Gesamtdauer von 24 Monaten noch nicht erreicht ist und die Auszeit mit Ablauf des 30. Juni 2021 endet, den Rest für die Pflege eines nahen Angehörigen zu nutzen. Hierfür ist aber die Zustimmung des Arbeitgebers erforderlich. Kehrt der Beschäftigte nach der Pflegezeit auf seinen Arbeitsplatz zurück, hat er Anspruch auf die vorherige Arbeitszeit. Ein Anspruch auf seinen bisherigen Arbeitsplatz besteht jedoch nicht. Er muss aber gleichwertig sein.
Zinsloses Darlehen
Werden Pflegezeit und Familienpflegezeit in Anspruch genommen, dann hat der Beschäftigte Einkommensverluste hinzunehmen. In dieser Zeit hat er einen Rechtsanspruch auf ein zinsloses Darlehen, um den Verdienstausfall abzufedern. Pandemie- Einkommensausfälle können bei der Ermittlung der Darlehnshöhe unberücksichtigt bleiben. Der Verdienstausfall muss beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in Köln beantragt werden. Das Darlehen wird in monatlichen Raten ausgezahlt und deckt maximal die Hälfte des durch die Arbeitszeitverkürzung fehlenden Nettogehaltes ab.
Das Darlehen ist innerhalb von 48 Monaten nach Beginn der Freistellung in gleichbleibenden Raten zurückzuzahlen. Es besteht die Möglichkeit, pandemiebedingte Rückzahlungsschwierigkeiten auf Antrag geltend zu machen und die Rückzahlung im Verwaltungsverfahren zu erleichtern.
Ferner besteht auch die Möglichkeit, eine Entgeltaufstockung unter Verwendung eines Wertguthabens mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren. Das bedeutet, dass der Beschäftigte das verminderte Einkommen über ein Wertguthaben aufstockt, dass er entweder vor oder nach der Pflegephase aufgebaut hat.
Nahe Angehörige
Rechtsanspruch auf ein Fernbleiben von der Arbeit bei einer akut auftretenden Pflegesituation, sowie bei der Freistellung nach dem Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz besteht nur für nahe Angehörige. Dazu gehören: Großeltern und Eltern, Schwiegereltern, Ehegatten, Lebenspartnern oder Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, Stiefeltern, Lebenspartner der Geschwister, Geschwister der Lebenspartner sowie Partner in lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaften. Auch Geschwister, Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder, Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartner sowie Schwieger- und Enkelkinder sind nahe Angehörige.
Autor: Hermann Brengelmann
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