Den versteckten Grenzen auf der Spur
Besitzgrenzen werden meist durch unverrückbare Grenzsteine angezeigt. Doch wenn Jahrzehnte oder Jahrhunderte vergehen, sind diese manchmal kaum noch sichtbar – ein spannendes wie notwendiges Unterfangen sie zu finden, berichtete Dieter Scholz in der Land & Forst 35/17.
Klare Grenzen setzen – das hilft, Streitigkeiten zu vermeiden. Dieser Grundsatz zieht sich durch die Geschichte bis zum heutigen Tag und er gilt auch im Wald. Grenzsteine, Risserzeichen in Grenzbäumen, Landwehrgräben und andere unverrückbare Markierungen zeigen dort die Grenzen zwischen Besitzungen und früheren Herrschaftsbereichen an.
Anders als in bebauten Gebieten, wo sich mehr oder weniger ebenerdig gesetzte Grenzsteine durchgesetzt haben, die meist aus Granit, Beton oder neuerdings auch aus Kunststoff bestehen, müssen die Markierungen in Wald und Flur besser sichtbar sein, um wahrgenommen zu werden. Daher wurden dort seit dem frühen Mittelalter die Grenzsteine deutlich größer und höher gesetzt – meist tragen sie mehrere Dezimeter aus dem Boden – und fest und frostsicher verankert.
Grenzsteine bestehen häufig aus örtlich verfügbarem Gestein. Manchmal wurden jedoch absichtlich dort nicht vorkommende Gesteinsarten verwendet, um sie besonders auf steinigen Untergründen auffälliger zu machen, z.B. Grenzsteine aus Buntsandstein auf flachgründigen Muschelkalkböden.
Die Suche beginnt
Findet man einen möglichen Grenzstein, kann im Zweifel durch einen Tritt dagegen schon einmal geprüft werden, ob er überhaupt als Grenzstein in Frage kommt, denn Grenzsteine werden ja fest und tief im Boden gesetzt. Manchmal hilft bei der Suche ein außergewöhnlicher Moosbewuchs, der vom benachbarten Bewuchs deutlich abweicht und den Grenzstein zum Leuchten bringt.
Erschwert wird die Suche meist an Waldrändern. Abgeladene Lesesteine oder eine dichte Kraut- und Strauchschicht können hier hinderlich sein. Die Markierungen sind deshalb im laubfreien Winterhalbjahr deutlich besser zu finden.
Manchmal ist das Finden einer Grenze also ein Detektivspiel, besonders für Bewirtschafter, die neu und vielleicht ortsunkundig sind. Ist dann endlich ein Stein gefunden, muss zunächst noch geklärt werden, ob dieser auch tatsächlich die Grenzlinie anzeigt oder eine andere besitzt.
Wenn die Steine fehlen
Ebenso gut könnte es sich auch um andere Markierungen handeln, wie ein Gemarkungsstein, ein trigonometrischer Vermessungsstein, ein Stein, der die Lage einer Hochspannungsleitung oder eines Postkabels anzeigt oder ein Abteilungsstein. Möglich ist auch, dass eine gefundene Grenze gar nicht mehr gilt, weil sich durch Ankauf in der Vergangenheit das Besitztum geändert hat.
Ist eine Grenze nicht versteint oder fehlen die Steine (zu Zeiten der DDR wurden sie mutwillig entfernt), muss der genaue Grenzverlauf anders geklärt werden. Oft hilft dabei bereits der aufstockende Bestand, wenn er sich vom Nachbarbestand in Baumarten und Baumalter optisch unterscheidet.
Hilfreich sind auch andere Hinweise, wie alte Risserzeichen in den Grenzbäumen oder vom Bewuchs befreite Grenzlinien. Relativ eindeutig werden historische Grenzen, wenn eine „Landwehr“ gefunden wird – ein Graben mit einem Wall, der aus dem Aushub des Grabens besteht. Landwehre wurden im Mittelalter um viele Städte als Grenze angelegt, oft verbunden mit einem Verhau aus undurchdringlichem Dornengebüschen.
Nützlich kann auch der Blick in alte Flurkarten sein, denn möglicherweise ist dort die genaue Lage der Steine mit ihren Abständen zueinander und der Nummerierung dargestellt. Solch genaue Darstellungen finden sich nicht mehr in den heute üblichen Betriebskarten und sollten daher unbedingt aufgehoben und auch dem örtlichem Wirtschafter als Hilfsmittel zur Kenntnis gegeben werden.
Ist ein Stein umgefahren oder gerodet, so ist der genaue Standort trotzdem nicht ganz verloren. Bei der Einmessung und -setzung wurde nämlich entweder ein Drainagerohr aus Ton oder eine Flasche als unterirdische Sicherung unter den Stein gesetzt (bei den modernen Steinen eine Metallspitze). Das erleichtert amtlich bestellten Vermessern die Wiederherstellung.
Mutwilligkeit wird bestraft
Nach § 274 des Strafgesetzbuches wird Entfernen, Unkenntlichmachen oder Versetzen eines Grenzsteins in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, mit einer Geld- bzw. Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet. Zudem stellt nach dem niedersächsischen Gesetz über das amtliche Vermessungswesen das unbefugte Verändern oder Entfernen von Grenzzeichen mindestens eine Ordnungswidrigkeit dar. Eine amtliche Grenzvermessung ist teuer und richtet sich nach einer detaillierten Gebührenordnung.
Zu Problemen zwischen Flächennachbarn kommt es häufig nach der Räumung eines Altbestandes, der eine sichere Zuordnung der Stämme ermöglichte. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Folge die alten Orientierungspunkte mit Naturverjüngung zuwachsen. Auch wenn ein Rückeweg auf der Grenze verläuft und als gemeinsamer Weg dient kommt es manchmal zu Grenzstreitigkeiten.
Nicht immer ist bekannt, in welche Richtung ein Stein den Grenzverlauf anzeigt: Üblicherweise weist aber die Längsseite auf die Grenzlinie. Dies ist besonders bei an Wegen gesetzte Grenzsteinen wichtig. Neben der Grenze zwischen Weg und Fläche, kann nämlich auch die Grenze zwischen zwei benachbarten Flächen, die bis zum Weg reichen, sowie die Grenze zwischen Weg und zwei Nachbarflächen angezeigt werden (s. obige Zeichnung).
Ein ganz eigenes Kapitel sind die historischen Grenzsteine, die im Wald bis heute überdauert haben. Aufgrund ihrer geschichtlichen Bedeutung, ihrer handwerklichen Schönheit und der Einzigartigkeit bieten sie Stoff für ein ausfüllendes Hobby.
Als Beispiel hierfür sei die Grenze zwischen dem Herzogtum Braunschweig und dem Königreich Hannover aufgeführt, die sich quer durch Niedersachen und angrenzende Bundesländer zieht. Gedanklich bewegen wir also rund 200 Jahre zurück in die Zeit der napoleonischen Kriege und des Wiener Kongresses von 1814/1815.
Grenzvermächtnisse
Die durch Steine angezeigten damaligen Grenzlinien bezeugen teils bis heute gültige Grenzen zwischen Bundesländern, Gemarkungen, Kreisen oder Gemeinden. An ihrem Beispiel lassen sich einige Merkmale alter Grenzsteine aufzeigen: der Kopf der Grenzsteine kann flach, abgerundet oder pyramidenförmig sein und gegebenenfalls ist obenauf der Grenzverlauf eingekerbt.
An den flachen Seiten findet sich das jeweilige Symbol, eine Abkürzung oder ein Wappen (hier: „HB“ für Herzogtum Braunschweig und „KH“ für Königreich Hannover). Manche Steine tragen auch nur den Buchstaben „B“ für Braunschweig, „H“ für Hannover oder „P“ für Preußen. Das jeweilige Symbol befindet sich stets auf der Seite, bis zu welcher das entsprechende Gebiet reichte. Hinzu kommen entweder Jahreszahlen der Setzung des Steines oder eine laufende Nummerierung der Steine; (manchmal auch auf jeder Seite unterschiedliche Nummerierung, je nach Anlieger).
Bei geradlinigen Grenzverläufen werden die daran gesetzten Grenzsteine „Läufer“ genannt, während sie an Knickpunkten als „Ecksteine“ oder „Hauptsteine“ bezeichnet werden.
Fazit
- Dieser Beitrag möge einen Anreiz zur eigenen Heimatforschung geben und dazu, die oft denkmalgeschützten Grenzsteine als stumme Zeitzeugen zu pflegen und zu sichern.
- Dabei geht es nicht nur um die Bewahrung eines wertvollen Kulturgutes, sondern auch um die Weitergabe der Informationen an die nächste Waldbesitzergeneration.
- Ein wirksames Instrument hierfür ist ein regelmäßiger Grenzbegang (mancherorts auch Schnatgang oder Grenzbeziehung genannt), der in manchen Genossenschaftsforsten als bedeutendes traditionelles Ereignis gepflegt wird und den Teilnehmern ganz nebenbei auch Kenntnisse über den Wald und seine Bewirtschaftung nahebringt.
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