Digitalisierung: Aufwendiger Lernprozess für Mensch und Maschine
Beraterhochschultagung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen lotet in Osnabrück Chancen und Risiken digitaler Technologien und Anwendungen aus
Wunsch nach weiter verbessertem Tierwohl
„Für die Tierhalterinnen und Tierhalter liegt das Augenmerk bei digitalen Anwendungen klar auf einer weiteren Verbesserung des Tierwohls“, sagte Kammerpräsident Gerhard Schwetje während des Begrüßungstalks. „Nur gesunde und entspannte Tiere entwickeln sich gut, liefern Milch, Fleisch und Eier – hierbei kann die Technik einen wichtigen Beitrag leisten.“ Sensoren und Überwachungssysteme entlasteten die Betriebsleitung, damit gewännen die Landwirtinnen und Landwirte Zeit für wichtige weitere Aufgaben. Lernende Systeme hätten das Potenzial, den Fachkräftemangel auf dem Land abzumildern.
Impulse für die Politik
„Die Beraterhochschultagung ist für uns von großer Bedeutung – die Impulse zwischen Forschung, Beratung und landwirtschaftlicher Praxis, die auf der Tagung erzeugt werden, nehmen wir gerne für unsere Arbeit auf“, hob Martina Weber, Leiterin der Abteilung Raumordnung, Landentwicklung und Förderung im Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium, hervor. Der Agrarstandort Niedersachsen müsse wettbewerbsfähig bleiben, um das Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe nachhaltig zu sichern. Gleichzeitig müsse in der Landwirtschaft weiterhin umweltgerechtes Handeln eine wichtige Rolle spielen.
So könne beispielsweise die Biodiversität bei der Bewirtschaftung der Grünlandstandorte weiter gesteigert werden: „Mit verschiedenen Förderprogrammen wollen wir die Betriebe bei der digitalen Transformation unterstützen. Die neuen Technologien können zu beitragen, dass etwa in der Tierhaltung Arbeitsprozesse und Tierwohl verbessert und Emissionen gesenkt werden“, sagte Weber.
„Digitalisierung erfordert gute Datennetze – da sehen wir in vielen Regionen Niedersachsens noch großen Nachholbedarf“, sagte Andreas Fricke, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Landberatung. „Was nutzt das beste Lenksystem und die modernste Applikationskarte, wenn die für die Anwendung nötige Daten-Infrastruktur noch nicht aufgebaut ist.“ Auffallend in den zurückliegenden Jahren sei der Rückzug der Tierhaltung aus vielen Regionen – ob die Digitalisierung diese Entwicklung bremsen könne, müsse sich erst noch erweisen.
Hohe Erwartungen
Arbeitserleichterungen, Ersatz für fehlende Fachkräfte, mehr Effizienz, mehr Ressourcenschutz in einer zukunftsfähigen Agrarbranche: Die Erwartungen an neue Technologien sind hoch. Die Referentinnen und Referenten der Beraterhochschultagung gaben dazu Einblicke in ihren Forschungsalltag und ihre Erfahrungen. Neue Technologien spielten bei der Herausforderung, Erträge nachhaltig zu steigern, ohne nennenswerte neue Agrarflächen erschließen zu können, eine entscheidende Rolle, betonten Prof. Dr. Hubert Korte und Prof. Dr. Stefan Stiene in ihrem Vortrag.
Digitalisierung startet in den Köpfen
Sowohl für die Feldroboter als auch für deren Anwenderinnen und Anwender sei die Digitalisierung zunächst ein aufwendiger Lernprozess, betonten die in den Lehrgebieten Landtechnik und Agrarrobotik tätigen Dozenten der Hochschule Osnabrück: „Digitalisierung startet in den Köpfen.“ Künstliche Intelligenz zu trainieren heiße viel Zeit darauf zu verwenden, um Daten zu beschaffen und aufzubereiten: „Digital zu sein kostet Zeit, Geld und Personal.“
Für die Einführung digitaler Maschinen und Anwendungen im Betrieb empfahlen die Osnabrücker Hochschuldozenten ein schrittweises Vorgehen, um Neues mit Bewährtem optimal zu verbinden und eine Überforderung von Betriebsleitung und Personal zu vermeiden. Wer digitale Karten und Lenksysteme verstehe und anwende, komme später besser mit Drohnen und Robotik zurecht. Künstliche Intelligenz, so Korte und Stiene, müsse ihre Akzeptanz in der Landwirtschaft noch entwickeln, um sich langfristig durchzusetzen.
Sensoren im Stall als Unterstützer im Alltag
Den Blick auf verbessertes Tierwohl und höhere Produktivität im Stall lenkte Dr. Jeanette Probst vom Institut für Tierhygiene, Tierschutz und Nutztierethologie an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Mit Bezug auf die Forschungsvorhaben „DigiSchwein“ und „TiPP – Transparency in Pig Production“ erläuterte Probst unter anderem Ergebnisse des Stallklima-Monitorings, des Einsatzes von Audio- und Videotechnik sowie der automatisierten Gewichtserfassung.
„Sensortechnik im Stall kann effektiv bei der täglichen Arbeit und Entscheidungsfindung unterstützen“, lautete ihr Fazit. Die Anwendungen müssten robust sein und wartungsarm funktionieren, um im Alltag zu bestehen. „Die Sensortechnik mit Bezug zum Einzeltier ist im Schweinebereich noch in der Entwicklungsphase“, stellte Probst klar. Für eine flächendeckende Digitalisierung in der Landwirtschaft müssten der Netzausbau im ländlichen Raum sowie die Fähigkeit unterschiedlicher Geräte und Anwendungen zum Datenaustausch weiterentwickelt werden.
Mehr Vielfalt auf dem Grünland
Neues Denken für mehr Effizienz und Nachhaltigkeit ist nicht nur im Stall und auf dem Acker, sondern auch auf dem Grünland gefragt, hob Dr. Martin Komainda, Experte in der Abteilung Graslandwissenschaft der Georg-August-Universität in Göttingen, hervor. Seine Empfehlung für die Grundfuttererzeugung in Zeiten des Klimawandels: „Durch mehr Vielfalt bei den Pflanzenarten im Grünland lassen sich die Grünlanderträge und -qualitäten über die Zeit signifikant stabilisieren“, berichtete Komainda von seinen Forschungen etwa zu Auswirkungen längerer Trockenphasen.
„Hierbei sind insbesondere die Ergänzung von Futterpflanzenmischungen mit tiefwurzelnden Arten relevant“, so Komainda weiter. Diese fänden sich derzeit noch nicht in offiziellen Mischungen. „Eine Schwierigkeit in der Etablierung artenreicher Bestände ist es, gleichmäßige Mischungen bereitzustellen.“ Hierzu seien neuartige Konzepte in der Bestandesetablierung nötig und möglich.
Erfahrungen aus dem PraxisLabor
Seit 2020 sammelt die LWK im PraxisLabor Digitaler Ackerbau im Kreis Helmstedt Erfahrungen mit digitalen Maschinen und Anwendungen bei der praktischen Feldarbeit. „Im Wesentlichen geht es darum, dass wir durch Digitalisierung die Welt des Ackerbaus besser machen wollen, den Input durch Informationen besser und gezielter einsetzen, dadurch komplexe Arbeitsabläufe vereinfachen, Ressourcen schonen und Umweltrisiken durch Präzision minimieren“, fasste PraxisLabor-Leiter Jobst Gödeke die Arbeit seines Teams zusammen.
Auf der anderen Seite sei zu berücksichtigen, dass digitale Hard- und Software teuer seien – jeder Betrieb müsse abwägen, ob sich die gewünschten Investitionen auch rechneten, gab Gödeke zu bedenken. Bei Störungen seien Fachleute gefragt, die nicht immer kurzfristig verfügbar sind. Verbesserungsmöglichkeiten sieht der LWK-Experte bei der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Maschinen.
Der Nutzen digitaler Technologien für Produktivität und Umwelt zeige sich nicht immer kurzfristig, so Gödeke. „Daher streben wir im PraxisLabor Versuchsreihen über mehrere Jahre an, um Ergebnisse für unsere Beratung zu erarbeiten.“
Exkursionen zeigen digitale Chancen und Möglichkeiten
Abgerundet wurde die Beraterhochschultagung am Nachmittag durch spannende Exkursionen zu Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die Visionen und Lösungsansätze von Hochschulen und Praktiker*innen für eine zukunftssichere Landwirtschaft aufzeigen:
• Im Forschungszentrum „Agrarsysteme der Zukunft“ der Hochschule Osnabrück stellte Prof. Dr. Andreas Ulbrich Chancen und Herausforderungen verschiedener Versionen des Vertical Farmings vor. Zu sehen waren separat voneinander steuerbare Indoor-Kammern sowie ein Dachgewächshaus.
• Robby Andersson, Birgit Hinrichs, Guido Recke und Kathrin Toppel führten in Wallenhorst durch verschiedene, auch digital ausgestattete Nutzgeflügelställe. Erläutert wurden unter anderem Sensortechnik für Stallklima und Tiererkennung zum Monitoring und Controlling im risikoorientierten Bestandsmanagement.
• Matthias Beuke zeigte die Versuchsflächen und Teile des Werks des Landmaschinenherstellers Amazone in Hasbergen/Gaste. Diskutiert wurde unter anderem über ackerbauliche Lösungen in Zeiten des Klimawandels sowie über unterschiedliche ressourcenschonende Techniken.
• In Bohmte präsentierte Dirk Detlefsen Agrarinnovationen im Bereich Digitalisierung und KI auf Gut Arenshorst. Auf dem ehemaligen Golfplatz besteht seit 2021 ein Testfeld zum antrainieren der KI. Das Gut Arenshorst bewirtschaftet rund 450 Hektar Ackerland und stellt den Betrieb seit 2023 auf regenerative Landwirtschaft um.
Bei der Beraterhochschultagung handelt es sich um eine eintägige Veranstaltung, bei der namhafte Referentinnen und Referenten in kompakten Vorträgen die Bindung zwischen landwirtschaftlicher Praxis, Beratung, Politik und Forschung verdeutlichen. Die Tagung richtet sich an interessiertes Fachpublikum sowie Studierende und bietet die Möglichkeit zum Austausch und zur Diskussion.
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Wolfgang Ehrecke
Pressesprecher
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