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Rohfaser und Faser

Webcode: 01037945
Stand: 15.12.2020

Die Faserversorgung gewinnt in der Schweinehaltung zunehmend an Bedeutung. Dabei betrifft der Begriff „Faser“ nicht nur die Fütterung, sondern auch das Beschäftigungsmaterial. In der im Juli 2020 vom Bundesrat zugestimmten Änderungsverordnung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung enthält der § 26 nun zusätzlich die Wörter „organisch und faserreich“. Dort heißt es:

„Wer Schweine hält, hat sicherzustellen, dass jedes Schwein jederzeit Zugang zu gesundheitlich unbedenklichem und in ausreichender Menge vorhandenem organischen und faserreichen Beschäftigungsmaterial hat, das a) das Schwein untersuchen und bewegen kann und b) vom Schwein veränderbar ist und damit dem Erkundungsverhalten dient.

Als Beschäftigungsmaterial im Sinne von Satz 1 Nr.1 kann insbesondere Stroh, Heu, Sägemehl oder eine Mischung dieser Materialien dienen.“

Die Initiative Tierwohl (ITW) führt in ihrem Kriterienkatalog Schweinemast, Programm 2021 -2023, auf, dass die Tiere Zugang zu gesundheitlich unbedenklichem Raufutter haben müssen. Bei Raufutter handelt es sich um rohfaserreiche, strukturreiche Futtermittel. Es muss fressbar, kaubar, untersuchbar sowie beweg- und bearbeitbar sein.  Die nicht abgeschlossene Liste in den Erläuterungen zur ITW Schweinemast enthält u.a. Stroh und Heu in Lang-, Kurz- oder Pelletform, Treber, Trester, Trockenschnitzel, Grünmehle, Getreidekleien, Getreidespelzen, Sojaschalen und Miscanthus. Nicht anerkannt sind z.B. CCM, Extraktionsschrote, Holz, Hanfseile und Jutesäcke.

Als Beschäftigungsmaterialien können auch bestimmte Futtermittel genutzt werden, sofern sie faserreich sind. Was unter „faserreich“ zu verstehen ist, muss noch definiert werden. In der Fütterung gibt es neben der altbekannten Rohfaser noch weitere analytisch bestimmbare Faserkomponenten, die Zellwandbestandteile NDFOM (Neutrale Detergenzienfaser, nach Veraschung) und ADFOM (Säure-Detergenzienfaser, nach Veraschung). Bisher gibt es in der Schweinefütterung nur einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestgehalt an Rohfaser. So fordert die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung für tragende Sauen einen Mindestgehalt im Alleinfutter von 8 % in der Trockenmasse bzw. mindestens 200 g Rohfaseraufnahme/Tag.

Eine ausreichende Faserversorgung ist u.a. aus diesen Gründen wichtig:

Die Darmgesundheit wird gefördert (verbesserte Darmperistaltik, Einfluss auf die Darmflora, Bildung von kurzkettigen Fettsäuren, z.B. Buttersäure). Durch das Quellvermögen der Fasern wird der Verdauungstrakt voluminöser, was vor allem in der Fütterung während der Trächtigkeit vorteilhaft ist, weil dadurch das Futteraufnahmevermögen laktierender Sauen beeinflusst werden kann. Durch das Quellvermögen tritt das Sättigungsgefühl früher ein, die Tiere werden ruhiger (vorteilhaft insbesondere in der Haltung tragender Sauen).  Durch die Faserversorgung lassen sich Passagerate und Kotkonsistenz steuern. Die Stickstoff-Fixierung im Dickdarm durch die BFS (bakteriell fermentierbare Substanz) reduziert die NH3-Emission, da weniger Harnstickstoff ausgeschieden wird. Auch kann das Auftreten von Schwanzbeißen durch faserreiche Rationen gesenkt werden.

Schweine können Faser zwar energetisch nutzen, aber nur, nachdem sie mikrobiell fermentiert wird und die entstehenden freien Fettsäuren anschließend im Dickdarm absorbiert werden. Rohfaser gehört zu den Gerüstsubstanzen und beinhaltet die unlöslichen Anteile der Zellwandbestandteile, zu denen chemisch sehr heterogene Substanzen zählen (Cellulose, Hemicellulose, Lignocellulose, Lignin u.a.). Die Rohfaser-Bestimmungsmethode ist Bestandteil der Weender Analyse, es gibt aber keinen direkten Zusammenhang zwischen Rohfaser und der verdaulichen Faser (Dietary fibre), da die unterschiedliche Abbaubarkeit von Cellulose, Hemicellulose und Lignin bei der Rohfaserbestimmung nicht berücksichtigt wird.

Mit welchem Parameter die Faserversorgung der Schweine am besten beschrieben werden kann, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Bei der Fütterung auf Darmgesundheit wird seit längerem über die Bedeutung der Zellwandbestandteile NDF und ADF diskutiert, da über den Parameter Rohfaser allein eine ausreichende Bewertung der Faserversorgung nicht mehr gegeben ist. NDF und ADF reichen jedoch für entsprechende Empfehlungen zur Faserversorgung nicht aus, da die Eigenschaften der Nahrungsfaser wesentlich komplexer sind. So geht es nicht nur um die chemische Zusammensetzung der Faser, sondern auch um ihre physikalische Struktur. Eigenschaften der Faserfraktionen, wie z.B. Wasserbindungskapazität, Viskosität, Fermentierbarkeit oder Löslichkeit, sind relevant für die Rationsgestaltung. In der Übersicht 1 sind ausgewählte faserreiche Futtermittel mit fütterungsrelevanten Faserfraktionen aufgeführt.

Übersicht 1: Fütterungsrelevante Faserfraktionen in unterschiedlichen faserreichen Futtermitteln (nach Dusel, 2018, gekürzt)

 

Rohfaser

g/kg

NDF

g/kg

ADF

g/kg

ADL

g/kg

Hemicellulose

g/kg

Cellulose

g/kg

Weizenkleie

120

396

119

34

277

85

Melasseschnitzel

144

405

206

19

199

187

Apfel-/Obsttrester

205

580

470

17

110

453

Luzernegrünmehl

235

430

306

78

124

228

Sojabohnenschalen

351

564

404

21

160

383

Stroh (Weizen)

382

721

458

75

263

380

Lignocellulose

600

820

700

200

120

500

 

 

DF

g/kg

BFS

g/kg

WICW

g/kg

WBC

l/kg

WHC

l/kg

VIS

mPas

Weizenkleie

330

171

385

2,7

2,4

1,9

Melasseschnitzel

466

460

586

10,7

3,4

4,1

Apfel-/Obsttrester

140

268

628

6,1

3,2

2,7

Luzernegrünmehl

160

276

438

4,9

2,7

1,4

Sojabohnenschalen

254

351

618

5,8

2,8

1,8

Stroh (Weizen)

260

 

 

 

 

 

Lignocellulose

120

 

 

9,8

7,8

1,2

Abkürzungen: DF= verdauliche Faser (dietary fibre); BFS=bakteriell fermentierbare Substanz; WICW=wasserunlösliche Zellwandbestandteile; WBC=Wasserbindungskapazität; WHC=Wasserhaltekapazität; VIS=Viskosität

Aus der Übersicht 1 lässt sich kein enger Zusammenhang zwischen dem Rohfasergehalt und den physikalisch-chemischen Parametern wie Wasserbindungskapazität oder Viskosität ableiten.  So sind Sojabohnenschalen sehr rohfaserreich, ihre Wasserbindungskapazität liegt aber deutlich unter der von Melasseschnitzeln, deren Rohfasergehalt wesentlich geringer ist. Melasseschnitzel enthalten aber viele lösliche, fermentierbare Fasern, besitzen ein hohes Quellvermögen und sorgen dadurch für ein Sättigungsgefühl.

Neben den klassischen Methoden zur Analyse von Parametern wie Rohfaser, NDF oder ADF werden andere Methoden benötigt, um die Faser mit ihren Eigenschaften (Fermentierbarkeit, Viskosität, Wasserkapazität, lösliche und unlösliche Fasern etc.) richtig zu beschreiben.

Werden zum Vergleich der Fasergehalte andere Datenquellen wie z.B. die DLG-Futterwerttabellen Schweine (2014) herangezogen, werden bei ähnlichen Rohfasergehalten durchaus Unterschiede bei Parametern wie NDF oder ADF sichtbar. Inwieweit diese Differenzen durch Unterschiede in den Analysenmethoden bedingt sind, bleibt zu klären.

Übersicht 2: Fasergehalte aus den DLG-Futterwerttabellen Schweine (2014)

 

Rohfaser

g/kg

NDF

g/kg

ADF

g/kg

Weizenkleie

114

450

128

Melasseschnitzel

137

322

161

Luzernegrünmehl

237

392

289

Sojabohnenschalen

334

528

352

Stroh (Weizen)

370

654

396

In der Positivliste für Einzelfuttermittel stehen weitere Faserträger wie Torf oder Lignocellulose. Laut Positivliste ist Lignocellulose ein Erzeugnis, das aus frischem, naturbelassenem Holz nach Trocknung durch mechanische Aufarbeitung hergestellt wird und überwiegend aus Lignocellulose besteht. Sie kann auch Holzfaser genannt werden. Das in der geänderten Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung als Beschäftigungsmaterial aufgeführte Sägemehl ist nicht Bestandteil der Positivliste.